Man ist ja froh, eine Arbeit zu haben. Ist man froh, eine Arbeit zu haben? Erst vor kurzem noch, bei einem Gläschen mit der Maus und ein wenig Mucke, ich nehme an es war der gute John Lennon, der mich am Ess-/Trinktisch dazu brachte, über mein jetzt schon langes Arbeitsleben zu sinnieren. Working Class Hero muss es gewesen sein. Beeindruckend. Wenn man hinhört und die Mucke nicht nur den Hintergrund beschallen soll.
Es muss wohl 20 Jahre her sein, dass die lieben Chefs, sie kannten noch den Namen der Angestellten und deren Familienmitglieder, auf die Idee kamen zu expandieren. Klein oder Mittel zu bleiben, heißt schnell in die Bedeutungslosigkeit zu geraten. Geschluckt zu werden. Aufgehen in den größeren Schlund des finanzstärkeren Hechts. Expansion bevor es die anderen tun. Das heißt, es wurden andere Firmen der gleichen Branche aufgekauft und in das so wachsende Ungetüm namens Marktführerschaft eingegliedert.
Das Wort „Eingliedern“ erscheint zunächst brav und unschuldig. Das Geschäft sichern, Erfolg haben, mehr Umsatz generieren, die Arbeitsplätze sichern, an Innovationen teilhaben, Internationalisierung, Marktbeherrschung. Solche und noch viel mehr auf den ersten Blick valide Buzzwords, sorgten aber auch für die Geldvermehrung einiger weniger und der sogenannten Stakeholder. Die mit dem „Eingliedern“ Beschäftigten, wurden abgespeist. Die wenigen Pfründe sind längst verfressen – im Kleinen, im Großen in die Schlünde des Staats, der Energiekonzerne, Finanzinstitute gelandet.
Was passiert nun mit den Firmen, die jemand aufkauft? Selbstverständlich schafft man, im idealen Sinn, gemeinsame Synergien, Lieferketten werden optimiert, das Angebot wird ausgeweitet. Dazu noch viel mehr. Win-win. Win-win? Wenn man eine liebe, große und professionelle „Zentrale“ hat, die mit Finanzbuchhaltung, Personalabteilungen, IT-Organisationen, Konzerncontrolling, etc. bestens ausgestattet ist – benötigen dann die Aufgekauften auch noch solche Verwaltungsorganisationen? Nö! Das wäre ja doppelt. Und die „Zentrale“ kann es ja besser und hat genügend Menschen, auf die man zusätzliche Lasten verteilen kann. Soweit nachvollziehbar? Benötigen Sie weitere Buzzwords? Simplification, Standardization, Optimization. Im Grunde auch: Headcount-Reduction. Nein, es werden nicht nur alte Schlips abgeschnitten, wie man es im Rheinland einmal im Jahr zu tun pflegt. Es rollen Köpfe. Menschen. Menschen werden arbeitslos. Oft ist einer dieser Kopf-ab-Menschen ein Alleinverdiener und muss eine Familie versorgen. Dann ist nicht nur ein unglückseliger Kopf, sondern eine ganze Reihe fällig.
Der Ausputzer.
Ich kann Ihnen nicht sagen, warum ich erst im fortgeschrittenen Alter auf die Idee komme, mir darüber Gedanken zu machen. Vielleicht weil schon ein neuer, ein junger Ausputzer hinter mir steht? Mir grade vieles über den Kopf wächst? Der niedrigqualifizierte Hausarzt erwiderte auf meine Klage, dass ich latente, aber diffuse Angstgefühle habe: „Diffus? Warum nicht klar? Es liegt doch alles auf dem Tisch. Lassen Sie sich impfen. Dann wird das schon.“. Ich kann Ihnen auch nicht sagen, warum mein lieber Arbeitgeber mich auserkoren hat, um in der globalen IT-Organisation „aufzuräumen“, zu optimieren. Aus seiner Sicht war es eine kluge Entscheidung. War ich naiv? War es mein nettes, verbindliches Auftreten? Meine Kollegialität, die zunächst keine Gefahr erahnen lässt? Rotkäppchen – Wolf.
Mit meiner Hilfe wurden einige IT-Organisationen, diverse in Deutschland, den Niederlanden, der Schweiz, in der USA, sogar auch bei uns selbst, im Götterbau des Marktführers, mindestens geschröpft. Manche mehr, manche weniger. Es läuft immer gleich ab. Erstmal „Liebkind“ mit den neuen Kollegen machen. Sich kennenlernen, gemeinsame Hobbies finden, Freunde werden, zusammenwachsen. Dann wird man gefragt, ob man eine Dienstreise machen möchte, um die neuen Kollegen persönlich kennenzulernen. Was die für Systeme haben, wie die arbeiten, welche Software blablabla die haben. Welche IT-Dienstleister beschäftigt werden, alle IT-Verträge – ob kurz- ob langfristig zu sichern und zu dokumentieren (Wichtig: Vertragslaufzeiten und -Kündigungsregelungen mit Prio dokumentieren). Eine Inventarisierung der Server, Computer, Betriebssysteme, etc. anfertigen. Danach muss alles schön aufbereitet werden, am besten in Form von 1-Pager, die auch der einfachste Manager versteht. Es erfolgt eine Fit-Gap-Analyse, man fährt / fliegt noch mal hin zur Klärung letzter Punkte. Die Kollegen, Freunde verstehen nun langsam, was auf sie zukommt. Wenn dann glasklar alles offenliegt – verstanden ist, wird ausgeputzt. Die Personalabteilung wickelt ab.
Die Franzosen sind stärker. Wehren sich wohlwissend was l’Allemand mindestens zweimal schon angestellt hat. Sie sind zäh, bewundernswert. Nicht nur in dieser Hinsicht.
Fun-Fact am Rande: Anlässlich dieses Themas, bei einem der Flüge nach Washington schaute ich mir den Film „Up in the Air“ mit dem adretten George Clooney im Bordkino an. Meine Rolle hatte ich damals nicht in Gänze verstanden.
Apropos verstanden, damit Sie mich richtig verstehen. Das ist nicht mein Hauptjob. Meine Mama, andere Familienmitglieder, der Papa, Freunde, haben mich oft gefragt, was ich denn so tue. Dazugesagt, die meisten sind Handwerker / Handarbeiter und ich der Einzige mit einem „Bürojob“. Ich konnte nie zufriedenstellend erklären, womit ich meine Lebenszeit vergeude. Am Ende antwortete ich immer nur: „Ich bin eine Tippse und rede dabei den ganzen Tag.“.
Unangenehm? Ja, allerdings. Am meisten für mich, dass ich dieses endlose, furchtbare Spiel mitspiele. Einmal erkannt, lässt es mich nicht mehr los, dieses beschämende Gefühl. Wohlwissend, ich bin der Nächste. Bumerang.
Lag mir schon länger auf der Zunge.