Die dunkle, stille Jahreszeit verabschiedet sich im lichtgrauen Nebel, die Natur erwacht, Mensch und Vieh wird rege – die müden Glieder streckend in ersten zarten Sonnenstrahlen. Die Singvögel sind die Ersten, natürlich.
Der kleine Junge schaut seit Wochen, eigentlich wie immer, aus dem Fenster und sollte sich freuen. Genauso freuen, wie die anderen. Dass die Sonne wieder scheint, die Natur aufblüht und die Menschen endlich ihre griesgrämigen Mienen mitsamt dem Wintermantel einmotten und sich wie abgesprochen, leutselig und im frühlingshaften Miteinander, fröhlich grüßen.
Von Drinnen betrachtet ist alles in bester Ordnung, sinnierte der kleine Junge. Die anderen Kinder, in kurzen Hosen und voller Leben in den Knochen, haben wohl recht, glücklich zu sein. Fußball auf dem Bolzplatz, Fangen spielen, Rollschuhlaufen auf trockenen Gehwegplatten, Räuber und Gendarm, Winnetou und man hat seinen Blutsbruder, jemanden dem man vertraut. Die warme, trostspendene Sonne auf der Haut spüren, zu sehen wie sie langsam bräunt und die adlige, aber winterkalte Blässe wie ein Echo der Vergangenheit zergeht. Ja, von hier oben aus dem obersten Fenster des Plattenbaus, schaut sich das alles richtig an. Wie sich die Menschen, die Kinder in ihrer Haut wohl fühlen. Überstrudelnde Lebensfreude, da unten.
Obwohl alles richtig ist – da draußen, so dachte der Kleine traurig, so ungerecht hat es der liebe Gott mit ihm gemeint. Ja, er wusste – sogar der eigene Sohn Gottes musste leiden, ohne dass sein Papa eingriff. Da ist man in bester Gesellschaft. Klagen sollte man nicht. Schon beim Mittagessen, hört man doch so oft: „Die kleinen Kinder in Afrika sind noch schlechter dran!“.
Die Wärme ist der Feind.
Runter von der Nachtspeicherheizung. Es bringt ja nichts, über diese Dinge nachzudenken. Das Atmen fiel ihm, kein Problem – schon gewohnt, immer schwerer. Wenn doch alle so normal, so glücklich sind, dann muss ich doch für irgendwas büßen. Lieber Gott, auf den Knien vornübergebeugt fiel dem Jung das Atmen leichter, ich lebe. Ja, aber.. – ich war doch immer lieb..?
Schule musste sein. Kleidung anziehen, ihm war es egal ob es neue, passende, oder alte abgetragene Kleidung der älteren Brüder war. Oder Klamotten aus der Kleiderkammer, die man uns dankenswerterweise zur Verfügung stellte. Es war egal, denn alles klebte an des Kleinen blutiger, nässender Haut. Jeglicher Kontakt zu Stoffen, jeglicher naher Kontakt zu Menschen, auch wenn sie gut gemeint waren, führte zu unsäglichen Schmerzen, die das Kind lächelnd herunterschluckte. Sie meinen es doch nur gut.
Die Haut, die Schlimme, die war der Feind. Das Blut, der Eiter, die Kratzerei, Anbinden, fesseln, Nägel kurz, nichts half.
Der Junge hatte, obzwar schon 11 Jahre alt, eine sehr stringente Vorstellung vom Leben der Großen. Laute Musik, Asbach-Uralt, Sekt, Bier – viele lustige, immer andere fröhliche Menschen bei Elvis, Roland Kaiser, Jürgen blablabla. Restetrinken. Danach hatte er regelmäßig weniger Albträume, dafür umso mehr Gewissheit zu unterscheiden, wer schön und wer der Pausenclown ist.
Pausenclown.
Das kleine, arme Kind, dessen Haut nicht vorhanden ist, blutig und immer verdeckt, um das Hänseln zu vermeiden. Die Oma hat ihm Verbände angelegt, wo so viel nötig waren, dass der Neukauf von Verbandsmaterial auch der geliebten Oma finanziell nicht mehr möglich war. Man kochte die Verbände auf dem heimischen Herd ab, und verband das Kind, so gut wie es eben ging.
Abgestumpft, ohne Freude und ohne weitere Hoffnung auf Besserung, gingen die Jahre hin. Altklug, schon in jungen Jahren, über die Vor- und Nachteile von Selbstmord referierend, alles glasklar mit Vor- und Nachteilen vor Augen. Die Vor- waren berauschend überwiegend, so das Fazit des gequälten Kindes..
Blau-Rot-Blau-Rot – so die Lichter von außen in das Kinderzimmer. Einmal mehr kündigte sich der Rettungswagen lustig, lichternd an, um ein Kind zu retten. Der große Bruder tat sein Bestes, während die Mutter und die anderen der insgesamt fünf Kinder um den blau-verfärbten Jungen herumstanden – das Leben seines kleinsten Bruders zu retten. Er hat es geschafft! Schon drei Mal ist der Junge dem Tod von der Schippe gesprungen. Doch immer nur das letzte Mal zählt. Vielen Dank, M. mein lieber Großer!
Niemand kann sich wohlfühlen, in dieser Haut. Es muss. Eigener Schweiß – Feind. Körper an Körper – Feind. Trotz, Suff, Drogen, Zyn
Fragmente, mit beliebiger Fortsetzung. Besser wird’s nicht. Ein Wunder dass es noch lebt.
Machine Gun Kelly – Papercuts https://www.youtube.com/watch?v=28PwRWXQ6Pw
Schönen Tag auch!