Heute war mal wieder einer dieser Tage. Zwar recht schön im Allgemeinen, fing er auch mit schönem Eiskratzen an, man fror sich draußen beim Qualmen schön den Ast ab, hinzu merkte ich eine schöne Erkältung heraufkriechen mit schönem Schnupfen, schönem Glieder- und Kopfweh. Kurz, ein üblicher schöner Tag der noch nicht vorbei ist.
Aber, was ich ums Verrecken nicht leiden kann sind Geräusche die ich nicht zuordnen kann. Wenn es da in unserer Zweimannzelle knackt und es stöhnt gelegentlich, dann weiß ich woher es kommt. Das beeinträchtigt meine Sklavenarbeit in der Knochenmühle nicht – mehr. Unbekannte Geräusche, so leise und demutsvoll zurückhaltend sie auch sind, nerven mich kolossal! Zwar nicht anfangs. Aber wenn sie penetrant sind. Also in kurzen Abständen immer wieder kommen und ich kann sie nicht zuordnen. Da werde ich zum John Kramer. Auch bekannt als Jigsaw.
Ich bin im Grunde sensibel, zurückhaltend, höflich und mitfühlend. Ach, und arbeitsam. Aber ich kenne mich. Zunächst sind Dinge einfach nur nervig. Dann werden sie langsam unangenehm. Dann werde ich langsam wütend. Es endet regelmäßig in Raserei wenn man mich in meiner untertänigsten Sklavenarbeit zum Wohle der hohen Herren und im Dienste der Gemeinschaft beeinträchtigt. Dann, ja dann fürchten sich sogar die Höllengötter vor mir. Dann sind alle Schleusen geöffnet, der Terror in Menschengestalt kommt aus mir raus.
Woher ich das weiß? Tja, ganz einfach. Jedes Jahr wird meine Berufungsverhandlung vertagt. Man verspricht mir: „Halte nur noch ein weiteres Jahr durch.“ Das Ganze geht aber jetzt schon zig Jahre, so dass ich glaube mir die Frührente abschminken zu können. Aber ich schweife ab. Woher ich weiß wie es endet wenn mich etwas nervt? Lassen Sie mich das kurz anhand eines Beispiels erläutern:
Ich wurde von einer Viel- in eine Zweimannzelle verlegt. Soweit ganz gut. Die Privatsphäre nahm eklatant zu. Mein Mitsklave, nennen wir ihn mal Rotkapp, ist ganz umgänglich. Ich und er, wir kümmern uns so gut wie es geht um unseren eigenen Scheiß. Er weiß warum ich dort eingekerkert bin, ich weiß dass er nur so zum Spaß, er nennt es „Geldverdienen“, dort ist. Jedenfalls bin ich groß und von der Statur her wohlsituiert. Die Rotkapp allerdings ist klein, dünn, man kann es fast schon mager nennen. Wir beide haben je einen Schreibtisch für die Knochenarbeit welche je auf einen eigenen Stuhl verrichtet wird. Schräg versetzt Rücken an Rücken sitzen wir und schauen eine Wand an. Wenn er sich plötzlich bewegt bekomme ich das aus meinem rechten Augenwinkel mit. Umgekehrt wohl genauso. Obwohl, er kommt mir mit seinen vier Augen manchmal ein wenig blind vor.
Eines Tages bemerkte ich so ein kleines Rumpeln mit nachgängigen Stöhnen in der Zelle. Es störte nicht weiter, es war mir aber unangenehm weil ich nicht wusste woher das kam. Es war kein stilles furzen meinerseits, das schloss ich aus. Wiederkehrend immer dieses Rumpelstöhnen. In unregelmäßigen Abständen. Es war zum Verrücktwerden. Es fing an zu nerven. Das Schlimme brodelte langsam in mir und versuchte auszubrechen. Gemach, dachte ich zu mir. Analysiere! Versuche entspannt zu sein – der Sache auf den Grund zu gehen! Da in der Zelle alles fest verschraubt ist und das einzig halbwegs noch bewegliche die Rotkapp ist, lurte ich einige Zeit nach hinten rechts rüber. Und Zack! Da hatte ich den Übeltäter! Die Rotkapp war es die da rumpelte. Ich brüllte: „DU DUMME SAU! MUSS DAS SEIN?“ Er schwang sich nämlich gelegentlich, leicht auf die Armlehnen gestützt, in die Höhe und verbrachte abwechselnd mal das rechte, mal das linke Rattenbeinchen unter seinen Arsch. Und saß dann wieder eine Weile mit seinem knorrigen Arsch auf eines seiner Beinchen bis er wohl merkte dass es unbequem ist und der Vorgang wiederholte sich mit dem anderen Beinchen. Abstützen – hoch – linkes Beinchen weg – rechtes Beinchen rauf auf den Stuhl – druff gesetzt – stöhnen. Entgeistert starrte ich ihn an und flüsterte mit heiserer Wut: „SACH MAL, DU BEKLOPPTER! HASTESE NOCH ALLE?“ Die Rotkapp schämte sich, wurde rot im Gesicht aber war sich keiner Schuld bewusst. Provozierend nahm sie noch ein Globuli zu sich den er mit einem Schluck lauwarmen grünen Tee nachspülte. Ich raste! Rumpel – stöhn, rumpel-stöhn!
Sie können sich das nicht vorstellen. Der Anblick. Wie die kleine, knorrige Rotkapp sich die Beine unterschlägt um sich dann drauf zu setzen. Rumpel-Stöhn! Das habe ich das letzte Mal draußen vor vierzig Jahren bei einer Frau gesehen während sie die „Golfgeneration“ las und eine Latte zu sich nahm. Gut dass es keine Seifenstücke mehr in der Gemeinschaftsdusche gibt. Die Spender sind an der Wand angebracht – man muss sich nicht bücken wenn mal was wegflutscht.
Heute war mal wieder einer dieser Tage. Konzentrierte Knochenarbeit, jeder für sich allein. Nur gestört von irgendwelchen Hausmeistern die außen vor den Fenstern Selbstmordvögel aufsammelten. Genickbruch. Knack und fertig! So geht der Gedanke durch meinen Schädel während ich verflucht noch mal richtig schnell mit allen meinen 7,5 Fingern plus Daumen meine Arbeit verrichte. Da! Es raschelt! Es folgt ein klimpern. Raschel-klimper. Was ist das? Ich bin noch nicht aufgeregt. Aber es hört nicht auf. Raschel-Klimper. In unregelmäßigen Abständen. Immer wenn es vorbei ist, meine Konzentration wieder hergestellt komme ich wieder aus dem Takt: Raschel-Klimper. Herrgott, kruzifix, verdammich nochmal! Was ist das denn hier wieder? Nach einigen Stunden raste ich langsam. Ich merkte, ich werde wieder zur wilden Sau wohlwissend weitere vierzig Jahre absitzen zu müssen.
Ich sah mich leise aber energisch um und beobachtete die Rotkapp. Rumpel-Stöhn. Soweit so gut. Aber bei jedem zweiten Rumpel-Stöhn greift er sich in die rechte Hosentasche und fängt an zu Rascheln und zu Klimpern. Ich versuchte zu begreifen ob der Bekloppte jetzt endlich reif ist für eine Zellenverlegung, sagte aber erstmal nichts. Und schaute zu. Tatsache! Da steckt Methode hinter. Wie autistisch greift er sich wirklich jedes zweite Mal in die Tasche und raschelt und klimpert da drinnen rum. Es geht so: Rumpel-stöhn-raschel-klimper. Rumpel-stöhn-raschel-klimper – in einer Tour. Mein erster Gedanke, er würde zu wenig trinken und aufgrund dessen wird seine Haut so langsam pergamentartig und er hätte Eierprothesen aus Metall, verwarf ich. Ich fühlte mich ermüßigt ihn anzubrüllen: „DU KRUMMER HUND! SAUDA!“ und weiter „HÖR AUF DAMIT!“ Rotkapp antwortete lakonisch er hätte da ein paar Zettel in der Tasche damit er sich an ein paar wichtige Dinge für den Abend erinnert. Und, ach, ein paar Zellenschlüssel die er gefunden hätte.
Meine diesbezüglichen Fragen ob er die Zettel und die Schlüssel nicht irgendwo anders, bspw. in seine Hemdbrusttasche oder in seinem Pausenbrottuppadings verbringen könnte wurden ebenso lakonisch mit „Nein“ beantwortet. Daraufhin nahm ich ihm beides ab. Die Zettel tackerte ich an seine Stirn fest, schloss die Zelle auf und verschwand, nicht ohne noch kurz grinsend reinzurufen:
„rumpel-stöhn-raschel-klimper“
So und jetzt sitze ich hier schön und sollte schön die Freiheit genießen. Aber anstatt im schönen Puff mit netten Damen und einer ordentlichen Portion schönem Alkohol die schöne Freiheit zu genießen, tausche ich nur die Lokation.
Schirrmi
P.S.: Ich habe keine Lust mehr zum Kochen. Aber wenn, dann wäre es was Einfaches geworden. Nämlich zum Beispiel überbackene Minutenschnitzel (Seite gefunden beim Kiezneurotiker)
P.P.S.: Ich schloß die Zellentür ab und warf den Schlüssel weg.
Und wie der Rothaarige da immer aus seiner Flasche trinkt. Den ganzen Tag über geht manchmal die Flasche an den Mund und es macht: glück-glück-glück-… aber nicht wie so normal, eher so wie ein Vögelchen trinkt. Und bei jedem Schlückchen: glück-glück-glück.. Ich hasse es!