Der Junge der über Dächer ging (2)

Tagebucheintrag xx.xx.xxxx: „Habe jemanden kennen gelernt der mich nicht als Außenseiter sieht. Komisch..“ So schrieb er ein wenig unbedarft während sein Herz klopfte, das Buch zusammenklappte nicht ohne abzuwarten dass die Tinte trocknet.

Er hatte eine halbwegs leserliche Telefonnummer auf einem Zigarettenpapier erhalten. Er wollte nicht anrufen, nicht betteln. Doch der, der ihm die Nummer dahin gekritzelt hatte – der musste was sein. Denn er hätte ihm sonst nie seine Telefonnummer gegeben wenn er nichts wäre. Tausendmal rief er an. Oft ging eine überaus energische Frau am anderen Ende ran und schrie. Und manchmal fragte sie, wo ist der Jung – sprich.. Er konnte damit genau so wenig anfangen wie man am gemeinsamen Abendtisch saß, die Hände gemeinsam gefaltet und das Tischgespräch sprach. Der gute Gott, die gute Welt von denen sie sprachen, waren doch so weit entfernt. Es war einmal, während seine Finger auf der einen Seite die harten, schwieligen Finger des Vaters griffen, auf der andern Seite die wie spinnenstarken Hände der Mutter fühlten, wünschte er sich nur eins – fort weg, am Ende – Hauptsache nur allein.

Wie es dazu kam, dass weiß wahrscheinlich niemand mehr. Gefühlte lange Jahre war es her, die Erinnerung an Ihn verblasste und er machte sein Abitur beim kleinen Latinum, Schiller und Goethe. Wohlwissend ob der alten Studien dass die Erde sich dennoch dreht, auch wenn man sich aufregend Männerbanden mörderisch ihr Unwesen treibend, im Dorf, jegliche feine Sinne, großartige Herzen, wohlfühlende Gedanken ertränken wollen in ihrem Suff, ihren tierischen Gelüsten, die Manschetten hoch, der Kragen schief, gottverlassend fühlt.

Wie ein Reh, großäugig – gläubig, traf er einen Freund. Na, komm doch mit! Hab doch Spaß – der Freund, der Einzige, redete weder von Herkunft, Bildung, noch vom grobschlächtigen Gesicht. „Hier ist Kirmes, saufen, fressen, ficken..“ Kennste nicht?“ Eine, oder ein-einhalb, Dosen Bier, er wurde entspannt und wurde von seinem Freund herumgeführt. Die Lichter so hell, die Fahrgeschäfte so schnell. Die Musik, 70ger wohl, das Glück war erreichbar, er war wer und wird geliebt an der Raupenbahn, am Karussell – juhhee! Die Mädels lachen wenn sie ihn sehen, seine Patte so offen, gibt aus, sein Geld verschwindet für ein kurzes Glück – Einsamkeit.

Die neuen Freunde reißen ihn raus aus der kurzen, schnellen Verzückung, ziehen, drängen, reißen ihn an den Scooter und schreien wie im Rausch: „Schau mal hier…“ – da kommt ein Wagen mit dem Feind – ein gezielter Tritt. Mitten ins Gesicht. Der Kopf reißt herum – Blut spritzt. Es klappern die Zähne. Der Feind, der Große liegt nun da und seine Kumpels sehen ganz deutlich – wer es war.

Blutdurstige Meute verfolgt ihn der nicht weiß was ist noch was war, Freund vorab rennend – brüllend „nimm die Füße in die Hand!“, doch schnell ist er nicht. Am Boden liegend, die Rippen – die Fresse zu Brei, sagt jemand „lass es gut sein – er kann ja nichts dafür!“ Er kam ins Krankenhaus mit Knochenbrüchen, Hämatomen und einem Kater. Am nächsten Morgen, er: „Hast Du ein Battle? War ich das Schwein?“

Fragt der Junge, der über Dächer ging.