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Ein lieber Mensch

„Kleiner Bruder, ich bin wieder im Krankenhaus. Mach Dir keine Sorgen!“

Ein ums andere Mal, schon seit Jahren, erreichte mich eine solche Nachricht. Das wird er mir jetzt nicht mehr schreiben können. Denn mein Bruder Andreas ist am 7. Dezember 2022 nach langer Krankheit gestorben. Am gleichen Tag, als damals im Jahre 1915 unsere geliebte Oma Elisabeth geboren wurde. Sein Wunsch wurde erfüllt:

„Lasst mich still einschlafen.“

Unser liebevoller Andreas, unser humorvoller und stets hilfsbereiter Bruder, Onkel, Freund, Kollege und Weggefährte, wird eine Lücke hinterlassen, die nie geschlossen werden kann. Mein großer, starker Bruder war uns stets wie ein Fels in der Brandung. Fürsorglich milderte er manch stürmische Welle des Lebens ab, und war immer zur Stelle, wenn man ihn brauchte. Mit Rat und Tat. Für seine Familie und Freunde hier und in Polen. Keine Entfernung war ihm zu groß, um seinen Lieben zur Seite zu stehen.

Andi engagierte sich ehrenamtlich als Feuerwehrmann und war ein begnadeter Handwerker. Mit großer Freude und mit Leib und Seele und hoch engagiert, nicht nur bei seinem Glaserhandwerk, lieferte er stets meisterliche Arbeit ab. Es war uns immer eine Freude, ihn bei seiner Arbeit zu erleben. Mit Recht konnte er stolz auf das sein, was er unermüdlich geleistet hat.

Auch wenn er sich angekündigt hat, der Tod kommt doch immer zu schnell. Egal wie lange man angstvoll, traurig und oft zynisch das Unausweichliche zu greifen versuchte – wenn es so weit ist, wenn die Endgültigkeit mit aller Entschlossenheit und Härte zupackt, es ist doch zu plötzlich.

In die abgrundtiefe Trauer mischen sich Fragen wie: Habe ich wirklich genug Zeit mit ihm verbracht. Habe ich ihm alles gesagt und alles von ihm erfahren, oder gibt es noch Unausgesprochenes? Konnte ich ihm meine Liebe und Zuneigung zeigen? Konnten wir ihm seine letzten Monate, Wochen, Tage und Stunden so liebevoll gestalten, wie es uns möglich war? Er hätte, nein – er hat diese Fragen bejaht. Oder hat er es nur gesagt, weil er niemanden zur Last fallen wollte?

Lieber Andi. Wir haben Dich geliebt und wir werden nie damit aufhören. Du wirst immer in unseren Herzen und Gedanken sein. Du bist zu früh von uns gegangen, konntest dem Unaussprechlichen aber doch noch einige Jahre stehlen, für die wir Dir dankbar sind. Dankbar für alles, wie Du unser Leben bereichert hast.

Lieber Andi, wir vermissen Dich!

Nach dem Sturm die Stille – Ein Nachruf auf Charlie

Letzte Woche Donnerstag war es stürmig. Sogar das neue Knochenmühlengebäude (Kiezi würde Borgwürfel sagen) heulte, schrie und wackelte, die Insassen (Matla) verrichteten ängstlich ihre Dinge. Ich war auf den Nachmittag fokussiert. Denn ich nahm mir vor auf Heidis Beerdigung zu gehen. Heidi ist die Mama einer Freundin. Ich kannte sie nicht gut, habe sie aber doch noch feuchtfröhlich in akzeptablen Alter kennenlernen können. Wir haben zusammen gelacht.

So schaurig grausam sich die Welt an diesen Tagen offenbarte, so war ich zunächst nur froh, dass ich noch in meinen dunklen Anzug passte. Die Trauerfeier selbst wurde von einem indischen, katholischen Pfarrer geleitet. Es war sehr bewegend. Mir kamen oft die Tränen. Auch wenn es manchmal vor Schmerzen war. Denn dieser Pfaffe hatte einen so lustigen Dialekt – ich musste mir manchmal das Lachen verkneifen. Und das tat weh. Aber die Inhalte hat er gut rübergebracht. Ich bin bei diesem Thema ja kein Neuling. War jahrelang ein Neuapostolischer Bruder gewesen und bin deswegen der Bibelkunde und den Gedanken über das Hier und dem Jenseits wohl vertraut. Es war schön und Heidi hätte es gefallen.

Während die Haare der Trauergäste noch im Wind flatterten und Friederike sich immer noch aufbäumte, sich gebärdete wie ein Abklatsch der Trompeten von Jericho, dachte ich über mich und meine Lieben nach. Ja, auch über die Hölle und über den Himmel. Aber nur theoretisch. Ich möchte niemanden irgendwelche Illusionen rauben. Ja, es war dem Anlass entsprechend der Zeitpunkt über mich, über meine Angehörigen und Freunde und über die vergängliche Welt nachzudenken..

Charlie

Am Montag erfuhr ich zufällig aus dem Web (Danke Altautonomer, Pantoufle, Stefan Rose..) dass Charlie plötzlich verstorben war. Und zwar an ebendiesen Donnerstag den 18.1.2018. Und zwar am gleichen Tag als Friederike so ein unbändiges Mädchen war und ich auf einer Trauerfeier in mein Innerstes blickte und so auch allgemein wenig Licht am weltlichen und geistigen Horizont sah. Oh weia!

Charlie kannte ich seit vielen Jahren. Nein, ich kannte ihn nicht. Ich kannte seinen Blog. Das Narrenschiff. Und er war der Kapitän und wusste sehr genau den Kurs. Er öffnete mir oft die Augen mit seinen Texten. Er war gebildet. Er war zornig. Er war arm und doch so sehr reich mit seinem Blick auf die furchtbaren Missstände die unsere Welt regiert, die Menschen verwaltet als Sache. Er war mittendrin in einem menschenverachtenden System gegen das er mit Verve kämpfte, schrieb, brüllte, weinte und oft nicht mehr den Glauben auf Besserung hatte. Nein, ich glaube er war nicht hoffnungslos. Denn ansonsten hätte er uns nicht über all die Jahre unermüdlich und unerbittlich die Augen und die Ohren geöffnet und uns immer und immer wieder gezeigt wo der falsche Hase langläuft. Kurs auf das Riff. Mit Mann und Maus wird untergegangen und das Schlimme, jeder weiß es. Charlie – „Ein Musik- und Literaturwissenschaftler auf der heiteren Odyssee bzw. vergeblichen Suche nach dem Humanismus.“ Die Suche fand ein einsames und plötzliches Ende an einem stürmischen Tag in der Nähe eines Krankenhauses. Wies man ihn ab? Suchte er mit letzter Kraft Hilfe und schaffte es nicht mehr dorthin? War wieder mal das vom Harz-Regime erbettelte Geld zu wenig um ein Taxi zu rufen um ins Krankenhaus zu kommen? Hatte man ihn, was wahrscheinlich ist, jegliche Existenzgrundlage gekürzt, dass er noch nicht mal um Hilfe rufen konnte?

Charlie, mein lieber ungekannter Freund. Das Menschenverachtende Regime war zu stark und Du bist ein Opfer. Deine Texte sind nicht ungelesen, Deine Gedanken sind in unseren Herzen. Auch neben der Bloggerszene – wir, es werden Dich viele Menschen, Deine geliebte Ex-Freundin, die Gemeinde der Du als Organist immer wieder Freude und Seelenheil mit Deinem Orgelspiel spendeste, Deine Familie die manches nicht verstand, und alle anderen Deiner Gefährten die das Glück hatten Dich auf Deinem Weg zu begleiten. Wir werden Dich für immer in unser Herz schließen.

Und ich, der es nie verwinden kann, auf Deinen letzten Brief „aus Zeitgründen“ nicht geantwortet zu haben. Der das nicht mehr ungeschehen machen kann, bin stolz und glücklich Dich gekannt zu haben. Du hast mir viel gegeben und ich so wenig. Warte Charlie, ich antworte noch. Du bekommst noch eine Antwort und fürchte mich vor: „Diese Nachricht konnte nicht zugestellt werden.“. Dann drucke ich es aus und lege es in Deine letzte Heimstatt.

Ich schreibe diese Zeilen mit Tränen in den Augen und so furchtvoll wie man nur sein kann im Angesicht der letzten Tatsache, wie alleine man zuletzt doch ist. Ein lieber, großer, starker, feinfühliger und netter Mensch ist von uns gegangen. Wer übernimmt jetzt den Job des Kapitäns?

Dein Schirrmi

P.S.: Wir haben uns über Rio Reiser, über Ton Steine Scherben, The Bates mit dem armen Zimbl, über Klassik und Hard Rock ausgetauscht. Du hast die erste offizielle CD meines Sohnes von mir erhalten (neben inoffiziellem): „Mobilization“. Ich hoffe das folgende Stück hätte Dich nicht gestört. Reinhard Mey. Das Narrenschiff.

Das Quecksilber fällt, die Zeichen stehen auf Sturm,

Nur blödes Kichern und Keifen vom Kommandoturm

Und ein dumpfes Mahlen grollt aus der Maschine.

Und rollen und Stampfen und schwere See,

Die Bordkapelle spielt „Humbatäterä“,

Und ein irres Lachen dringt aus der Latrine.

Die Ladung ist faul, die Papiere fingiert,

Die Lenzpumpen leck und die Schotten blockiert,

Die Luken weit offen und alle Alarmglocken läuten.

Die Seen schlagen mannshoch in den Laderaum

Und Elmsfeuer züngeln vom Ladebaum,

Doch keiner an Bord vermag die Zeichen zu deuten!

 

Der Steuermann lügt, der Kapitän ist betrunken

Und der Maschinist in dumpfe Lethargie versunken,

Die Mannschaft lauter meineidige Halunken,

Der Funker zu feig‘ um SOS zu funken.

Klabautermann führt das Narrenschiff

Volle Fahrt voraus und Kurs auf‘s Riff.

 

Am Horizont wetterleuchten die Zeichen der Zeit:

Niedertracht und Raffsucht und Eitelkeit.

Auf der Brücke tummeln sich Tölpel und Einfaltspinsel.

Im Trüben fischt der scharfgezahnte Hai,

Bringt seinen Fang ins Trockne, an der Steuer vorbei,

Auf die Sandbank, bei der wohlbekannten Schatzinsel.

Die andern Geldwäscher und Zuhälter, die warten schon,

Bordellkönig, Spielautomatenbaron,

Im hellen Licht, niemand muß sich im Dunkeln rumdrücken

In der Bananenrepublik, wo selbst der Präsident

Die Scham verloren hat und keine Skrupel kennt,

Sich mit dem Steuerdieb im Gefolge zu schmücken.

 

Der Steuermann lügt, der Kapitän ist betrunken

Und der Maschinist in dumpfe Lethargie versunken,

Die Mannschaft lauter meineidige Halunken,

Der Funker zu feig‘ um SOS zu funken.

Klabautermann führt das Narrenschiff

Volle Fahrt voraus und Kurs auf‘s Riff.

Man hat sich glatt gemacht, man hat sich arrangiert.

All die hohen Ideale sind havariert,

Und der große Rebell, der nicht müd‘ wurde zu streiten,

Mutiert zu einem servilen, gift‘gen Gnom

Und singt lammfromm vor dem schlimmen alten Mann in Rom

Seine Lieder, fürwahr: Es ändern sich die Zeiten!

Einst junge Wilde sind gefügig, fromm und zahm,

Gekauft, narkotisiert und flügellahm,

Tauschen Samtpfötchen für die einst so scharfen Klauen.

Und eitle Greise präsentier‘n sich keck

Mit immer viel zu jungen Frauen auf dem Oberdeck,

Die ihre schlaffen Glieder wärmen und ihnen das Essen vorkauen.

 

Der Steuermann lügt, der Kapitän ist betrunken

Und der Maschinist in dumpfe Lethargie versunken,

Die Mannschaft lauter meineidige Halunken,

Der Funker zu feig‘ um SOS zu funken.

Klabautermann führt das Narrenschiff

Volle Fahrt voraus und Kurs auf‘s Riff.

 

Sie rüsten gegen den Feind, doch der Feind ist längst hier.

Er hat die Hand an deiner Gurgel, er steht hinter dir.

Im Schutz der Paragraphen mischt er die gezinkten Karten.

Jeder kann es sehen, aber alle sehen weg,

Und der Dunkelmann kommt aus seinem Versteck

Und dealt unter aller Augen vor dem Kindergarten.

Der Ausguck ruft vom höchsten Mast: Endzeit in Sicht!

Doch sie sind wie versteinert und sie hören ihn nicht.

Sie zieh‘n wie Lemminge in willenlosen Horden.

Es ist, als hätten alle den Verstand verlor‘n,

Sich zum Niedergang und zum Verfall verschwor‘n,

Und ein Irrlicht ist ihr Leuchtfeuer geworden.

 

Der Steuermann lügt, der Kapitän ist betrunken

Und der Maschinist in dumpfe Lethargie versunken,

Die Mannschaft lauter meineidige Halunken,

Der Funker zu feig‘ um SOS zu funken.

Klabautermann führt das Narrenschiff

Volle Fahrt voraus und Kurs auf‘s Riff.