Heidnische Gebräuche

Gruselig ist es hier im beschaulichen Westerwald. Nein, nicht dass was Sie denken an Halloween 2023. Vielmehr schaute ich heute Spätnachmittag nach einer atemberaubenden und überaus interessanten Telefonkonferenz in den Spiegel und erschrak. Die drei Tage Homeoffice plus die zwei Tage an den Wochenenden, an denen ich mir nicht sonderlich Mühe für ein adrettes Äußeres gebe, reichten mal wieder aus mir vor dem nächsten Präsenztag vorzunehmen:

– Augenbrauen
– Bart
– Koteletten
– Unterhose
– Nasenhaare
– Obst und Joghurt, Anti-Alk-Getränke
– Duschen / Deo / Stinkewinkel etc.

Die Rücksprache mit der Liebsten anlässlich Halloween ergab: „Nö, da klingelt sowieso niemand. Hast ja keinen beleuchteten Kürbis oder die tote Oma im Eingang hängen.“. Nun gut. Ich kaufte trotzdem was „Süßes“ ein, man weiß ja nie.

18:30 Uhr – klingelingeling
Wohlwissend dass ich im Äußeren nicht für meinen nächsten Präsenztag vorbereitet bin, riss ich die Türe auf und rief mit einem irren Gesichtsausdruck: „Wat is‘?“. Da stond drusse eener mit ner Fleischmütze und einem Overall auf dem fett „Malteser“ aufgeklettet war. „Guten Abend! Kennen Sie die Malteser?“ So fragte er mich. „Na selbstverständlich! Aber Sie sind ein wenig zu groß und sehen nicht so süß aus, wie ein Solcher.“ erwiderte ich. Dumpfe Schaafaugen blickten mich an. Es gab ein hin- und her hinsichtlich Spenden, nur 5 EUR die Woche auf das Jahr gesehen, blablabla bis ich der Diskussion ein Ende bereitete und mich fast mit einem Arschtritt empfahl.

19 Uhr – klingelingleling
Aha, ich sah durch meine aus dem 12. Jahrhundert Verbleiglaste Eingangstür nach außen und erblickte schemenhaft kleine und große Monster, versammelt auf meiner Marmor-Eingangstreppe. Ich riss die schwere, solide Türe auf, machte einen Buckel, riss meine überaus strahlenden blauen Augen auf und brüllte die entsetzten kleinen Gespenster an: „WAT IS?“. Die Kleinen beförderten zugleich den Größten nach vorne, der mir ein „Triek ohr triet“ entgegen hauchte. Ich wusste schon, dass diese Gören aus unserem wunderbaren, nicht-korrupten, europäischen Nachbarland (Sie wissen schon – die gelb-blauen Nazis) kommen und brüllte den kleinen Hitler an: „WIR SIND HIER IN DEUTSCHLAND! WIE HEIßt DAS AUF DEUTSCH?“. Ganz zaghaft kam die Formel, alle hatten die Hosen voll und stolperten von meinem Hauseingang weg. Ich rief die Kameraden zurück, bis sie stillstanden. Dann hat jeder einen alten Müsliriegel in die Hand bekommen. Wegtreten!

20 Uhr – klingelingeling
Ich sitze hier immer noch kichernd und berichte der Geliebten per Fernsprecher, dass ich grade eine wilde Horde aus dem Osten abgewehrt hatte, da klingellingte es schon wieder. Gleiche Szene: Ich reiße die Tür auf, mache einen wilden Eindruck und brülle, hörbar in der ganzen Villengegend, wie ein Verrückter die kleinen und kleinsten Gespenster an: „ICH FRESSE EUCH!“. Geradeaus auf dem Bürgersteig sehe ich einen Erwachsenen der auf die Kleinen Racker aufpasse, und ich frage die süße Bande: „Süßes oder Saures kann ja jeder. Könnt ihr mir aber auch ein Lied vorsingen?“. „Na klar“ so ein keckes, kleines, blondes Ding und fing an lieblich zu singen, die anderen Kinder fielen ein und brachten gemeinsam ein „Oh Du lieber Nikolaus..“ bis zum Ende zustande.
Ich war gerührt. Um nicht zu sagen geschüttelt. James Bond würde auf die Frage „Gerührt oder geschüttelt?“ Mit „Sehe ich so aus, also ob mich das interessieren würde?“ antworten. Herrlich, kann ich Ihnen sagen! Ich ließ die alten vergammelten Müsli-Riegel in meiner Arschtasche, bat mir eine Sekunde aus, ging in mein Herrenzimmer und stopfte meine D&C-Reisetasche mit meinen persönlichen Leckereien voll, und sah anschließend zu, wie sich diese netten, süßen, kleinen, intelligenten, blonden, dem deutschen Liedgut mächtigen Kinderchen über meine Gaben hermachten. Es gab kein wildes Gerangel. Die eine zu dem anderen: „Oh, ich glaube ich habe zuviel genommen, bitte hier – ich gebe Dir das ab.“ Oder der eine Junge „welch ein schöner Abend, wir sangen zur Freude der Nachbarn – was brauche ich Süßes?“. Alle Kinder haben sich nett vor mir verbeugt und einen schönen Abend und mir ein langes, gesundes Leben gewünscht. In Zweierreihe gingen sie dann mit fröhlich zufriedenen Pausbäckchengesichtern weiter zu meinem lieben Nachbarn.

22 Uhr – Stille
Es klingelt niemand mehr bis jetzt. Habe die alten Müsliriegel wieder in den verschimmelten Rucksack der geliebten L. verbracht. Falls doch noch jemand Süßes haben möchte im späteren Verlauf des Abend, derjenige muss mit Apfelküchlein zufrieden sein. Oder es gibt Saures!

Bis denne, alte Henne!