6. Dezember: Bart ab!

Nur mal ins Städtchen zu meiner Stammapotheke fahren, um vorbestellte Medikamente abzuholen, dachte ich mir. Soweit normal. Um die Mittagszeit herum, als ich auf dem Weg zur Garage war, und hier immer noch normal, kamen mir die ganzen Kids aus den Kindergärten und Schulen entgegen. Nicht normal war, dass sie überaus belustigt waren, als sie mich erblickten. Kichern und hinter vorgehaltener Hand geheime Worte austauschend, die sie zu einem gesteigerten Lachen veranlassten.

Brrr, übermütige Bande! Wenn ich doch auch noch mal jung wäre. Bei all dem Schnee und der Kälte, war ich froh, dass ich noch meinen alten, roten Expeditionsparka von der letzten Bärenhatz in Kanada anhatte.

Dann auf der Straße, viele entgegenkommenden Autos blinkten mir wie wild auf, manche hupten, als sie mich passierten. Ich sah fröhliche Menschen hinter den Autoscheiben. Manche waren so fröhlich, dass ich Grimassen sah. Was ist denn heute nur los? Ist die Merkel verreckt? Oder der korrupteste Staat der Welt, die Ukraine, hat die Löffel gestreckt? Ups, reimt sich ja. Weil es so schön ist: Verreckt, gestreckt, unentdeckt, befleckt, erschreckt, geweckt, ausgeheckt und zugedeckt.

Vom Parkplatz zur Apotheke ging es glücklicherweise weniger infantil aus. Die Passanten, Bauarbeiter, Müllabfuhrleute grüßten mehr als sonst, wichtiger: respektvoller als sonst. Aber dass sich fremde Zigeuner, Obdachlose, arme Kinder, Rentner, Säufer – die ganze Vielfalt an Mitmenschen, mit nach oben und zu mir gerichteten Handflächen, wie flehend an mich wandten – nein das hatte ich noch nie erlebt. Puh, sehr seltsam. Teilweise hörte ich in all dem weinerlichen Singsang sowas wie „Oh, liber, Liber ikkoaus“ heraus. Mit schnellem Schritt und nach vorne gerichteten Blick, wohlwissend, dass ich wenig Geld in meiner Patte hatte, stürzte ich in die Apotheke.

Der Chef der Apotheke, ein 117-jähriger Perser und Doktor der Medizin, machte einen Bückling vor mir und freute sich, dass „Sie mich am 6. Dezember beehren.“. Die kleine Tablettenpackung verpackte er in einer schönen neutralen, schwarzen Tasche, packte Papiertücher, Shampoos, Bonbons, die Rentnerbravo, einen Wandkalender 2024, und eine Informationsbroschüre „Harnblasenkrebs, na und?“ ein. Dann schaute er mich erwartungsvoll an. Sehr erwartungsvoll schauten auch seine Angestellten, aber auch die anderen Kunden der Apotheke. Ich kam mir ein wenig doof vor und verließ eilig meine Stammapotheke, „Gott segne Sie alle.“, murmelnd.

Heimwärts, nur heimwärts. Was ein unheimlicher Tag, wie seltsam sind die Leute druff? Ich prüfte öfters meinen Puls, nicht, dass das alles nur ein Traum war. Daheim, und oben im Bad, zähneputzend (Dreimal pro Tag, wie mir meine Lederwarenfachverkäuferlehrerin beibrachte) schaute ich in den Spiegel: „Aber Hallo, mein Lieber! Siehst ja mittlerweile aus wie der Nikolaus!“. Der Spiegel hatte recht. (nicht „Der Spiegel“!) weißer Bart, sehr lang und.. Details erspare ich Ihnen.

Ich griff mir die Schere, dann den Rasierer und 25 cm weißer Bart waren schnipp-schnapp, ab! 15 cm verbleiben als Ausdruck meiner Persönlichkeit. Ich notierte mir für Morgen die Lokalnachrichten zu sichten, ob es was Besonderes am 6. Dezember gab.

P.S.: Die Armut in Deutschland scheint nicht weit her zu sein. Wie ich schon immer dachte. Alles nur Propaganda. Denn wenn vermeintlich arme Leute Ihre teuren Süßigkeiten und Schuhe / Stiefel einfach so nach draußen stellen, bin ich der Meinung – wie dreckig muss es einem gehen, wenn man so mit seinen Sachen, mit Lebensmitteln umgeht? Ich bediente mich reichlich. Soll ja nicht umkommen das Zeug.

Guten Appe!

Mein Lieblingshoodie, feinste Merinowolle in schwarz, machte mir seit einigen Monaten Sorgen. Der Reißverschluss hakte unten immer ein wenig, später dann penetrant immer mehr. Menno, ärgerte ich mich jedes Mal, wenn es wieder hakte. Denn dieser Hoodie, mein Liebling, riecht immer noch nach Schaaf – obwohl er bereits seit drei Jahren nie gewaschen wurde. Also noch nie.

Grade eben, ich denke über echte Handarbeit nach, sprach ich L. an. Ob sie sich das Übel nicht mal ansehen könnte. Schwups, Faden und Nadel und ein paar Minuten später – alles wieder in bester Ordnung. Warum ich nicht früher etwas gesagt hätte. Denn es war die letzte Gelegenheit, noch etwas zu retten. Etc.

Wie schön, wenn man eine Maßschneiderin daheim hat. Danke und Kussi Mausi!

Harzfalkenhof Bad Sachsa (Harz)

Letztens war ich mal wieder im Harz am Herumwandern. In und in der Umgebung von Bad Sachsa herum war ich schon öfters mal. Diesmal, die geliebte L. war mit dabei, besuchten wir bei Gelegenheit auch endlich mal den Harzfalkenhof. Wie Sie vielleicht schon wissen, Tiere persönlich in die Augen zu blicken, gibt mir etwas. Und wenn es um Vögel geht, die Kids der Dinos, umso mehr. Harzfalkenhof Bad Sachsa (Harz) weiterlesen

Heidnische Gebräuche

Gruselig ist es hier im beschaulichen Westerwald. Nein, nicht dass was Sie denken an Halloween 2023. Vielmehr schaute ich heute Spätnachmittag nach einer atemberaubenden und überaus interessanten Telefonkonferenz in den Spiegel und erschrak. Die drei Tage Homeoffice plus die zwei Tage an den Wochenenden, an denen ich mir nicht sonderlich Mühe für ein adrettes Äußeres gebe, reichten mal wieder aus mir vor dem nächsten Präsenztag vorzunehmen:

– Augenbrauen
– Bart
– Koteletten
– Unterhose
– Nasenhaare
– Obst und Joghurt, Anti-Alk-Getränke
– Duschen / Deo / Stinkewinkel etc.

Die Rücksprache mit der Liebsten anlässlich Halloween ergab: „Nö, da klingelt sowieso niemand. Hast ja keinen beleuchteten Kürbis oder die tote Oma im Eingang hängen.“. Nun gut. Ich kaufte trotzdem was „Süßes“ ein, man weiß ja nie.

18:30 Uhr – klingelingeling
Wohlwissend dass ich im Äußeren nicht für meinen nächsten Präsenztag vorbereitet bin, riss ich die Türe auf und rief mit einem irren Gesichtsausdruck: „Wat is‘?“. Da stond drusse eener mit ner Fleischmütze und einem Overall auf dem fett „Malteser“ aufgeklettet war. „Guten Abend! Kennen Sie die Malteser?“ So fragte er mich. „Na selbstverständlich! Aber Sie sind ein wenig zu groß und sehen nicht so süß aus, wie ein Solcher.“ erwiderte ich. Dumpfe Schaafaugen blickten mich an. Es gab ein hin- und her hinsichtlich Spenden, nur 5 EUR die Woche auf das Jahr gesehen, blablabla bis ich der Diskussion ein Ende bereitete und mich fast mit einem Arschtritt empfahl.

19 Uhr – klingelingleling
Aha, ich sah durch meine aus dem 12. Jahrhundert Verbleiglaste Eingangstür nach außen und erblickte schemenhaft kleine und große Monster, versammelt auf meiner Marmor-Eingangstreppe. Ich riss die schwere, solide Türe auf, machte einen Buckel, riss meine überaus strahlenden blauen Augen auf und brüllte die entsetzten kleinen Gespenster an: „WAT IS?“. Die Kleinen beförderten zugleich den Größten nach vorne, der mir ein „Triek ohr triet“ entgegen hauchte. Ich wusste schon, dass diese Gören aus unserem wunderbaren, nicht-korrupten, europäischen Nachbarland (Sie wissen schon – die gelb-blauen Nazis) kommen und brüllte den kleinen Hitler an: „WIR SIND HIER IN DEUTSCHLAND! WIE HEIßt DAS AUF DEUTSCH?“. Ganz zaghaft kam die Formel, alle hatten die Hosen voll und stolperten von meinem Hauseingang weg. Ich rief die Kameraden zurück, bis sie stillstanden. Dann hat jeder einen alten Müsliriegel in die Hand bekommen. Wegtreten!

20 Uhr – klingelingeling
Ich sitze hier immer noch kichernd und berichte der Geliebten per Fernsprecher, dass ich grade eine wilde Horde aus dem Osten abgewehrt hatte, da klingellingte es schon wieder. Gleiche Szene: Ich reiße die Tür auf, mache einen wilden Eindruck und brülle, hörbar in der ganzen Villengegend, wie ein Verrückter die kleinen und kleinsten Gespenster an: „ICH FRESSE EUCH!“. Geradeaus auf dem Bürgersteig sehe ich einen Erwachsenen der auf die Kleinen Racker aufpasse, und ich frage die süße Bande: „Süßes oder Saures kann ja jeder. Könnt ihr mir aber auch ein Lied vorsingen?“. „Na klar“ so ein keckes, kleines, blondes Ding und fing an lieblich zu singen, die anderen Kinder fielen ein und brachten gemeinsam ein „Oh Du lieber Nikolaus..“ bis zum Ende zustande.
Ich war gerührt. Um nicht zu sagen geschüttelt. James Bond würde auf die Frage „Gerührt oder geschüttelt?“ Mit „Sehe ich so aus, also ob mich das interessieren würde?“ antworten. Herrlich, kann ich Ihnen sagen! Ich ließ die alten vergammelten Müsli-Riegel in meiner Arschtasche, bat mir eine Sekunde aus, ging in mein Herrenzimmer und stopfte meine D&C-Reisetasche mit meinen persönlichen Leckereien voll, und sah anschließend zu, wie sich diese netten, süßen, kleinen, intelligenten, blonden, dem deutschen Liedgut mächtigen Kinderchen über meine Gaben hermachten. Es gab kein wildes Gerangel. Die eine zu dem anderen: „Oh, ich glaube ich habe zuviel genommen, bitte hier – ich gebe Dir das ab.“ Oder der eine Junge „welch ein schöner Abend, wir sangen zur Freude der Nachbarn – was brauche ich Süßes?“. Alle Kinder haben sich nett vor mir verbeugt und einen schönen Abend und mir ein langes, gesundes Leben gewünscht. In Zweierreihe gingen sie dann mit fröhlich zufriedenen Pausbäckchengesichtern weiter zu meinem lieben Nachbarn.

22 Uhr – Stille
Es klingelt niemand mehr bis jetzt. Habe die alten Müsliriegel wieder in den verschimmelten Rucksack der geliebten L. verbracht. Falls doch noch jemand Süßes haben möchte im späteren Verlauf des Abend, derjenige muss mit Apfelküchlein zufrieden sein. Oder es gibt Saures!

Bis denne, alte Henne!

Alter, hört sich nicht gut an wie es Dir geht. Sende Dir ein paar Buchstaben Kraft und Mitgefühl in das elendige, dreckige Berlin.

Meinst Du hättest das Schlimmste hinter Dir? Schön wärs. Die Teufel sind immer da. Egal mit was, mit wem und von oben oder unten. Muss man halt mit Leben. Wenn nicht, dann halt nicht. Wäre aber Verschwendung und unglaubliche, demütige Aufgabe.

Du bist nicht alleine. Wir sind nicht alleine. Die Endgültigkeit sieht lieb aus, macht es aber nicht zur besseren Alternative. Niemand weiß, was Schönes vor einem liegt. Es gibt noch viel, redet man mir ins Ohr.

Kopp hoch!